Introvertierte Menschen gelten oft als schüchtern oder uninteressant. Dabei gäbe es viele bedeutende Entwicklungen ohne sie nicht. Eine laute Welt tut also gut daran, den Stillen mehr zuzuhören. Denn: so still sind Introvertierte gar nicht immer.
Wie unsere Welt so extrem laut wurde!
Vor kurzem habe ich etwas sehr Persönliches enthüllt: Ich bin introvertiert. Und das ist gut so.
Was wie ein Coming-out klingt, ist tatsächlich eine sehr er-leichternde Erkenntnis, die mein tägliches Leben angenehmer und natürlicher macht.
Denn zum „Selbstsein“ gehört uneingeschränkt hinzu, die eigenen, ganz natürlichen Merkmale zu kennen, anzunehmen und der Welt zu zeigen. Es ist sehr anstrengend, nach außen so zu leben, wie man innerlich gar nicht ist. Viele nennen es: sich verbiegen.
Dieses „sich verbiegen“ hat nicht nur mit Werten, Haltungen oder der ganz eigenen Sichtweise auf die Welt zu tun. Sondern auch und besonders mit den Grundausstattungen, die jeder Mensch ganz individuell mitbekommen hat.
Allzu oft scheitern wir an den dominierenden Vorstellungen, wie eine Person zu sein hat, damit sie erfolgreich ist. Heutzutage haben erfolgreiche Menschen viele Follower in den sozialen Netzwerken, ja sie beeinflussen diese als Influencer sogar. Außerdem sind sie erfolgreiche Unternehmer:innen, weil sie natürlich wissen, wie sie ihrer Fangemeinde Dinge verkaufen. Kurzum: Wer extrovertiert, laut und sichtbar ist, ist „richtig“!
Unser Wertesystem geht von einem Ideal der Extraversion aus. Demnach sind Menschen dann optimal, wenn sie gesellige Alphatiere sind, die sich im Rampenlicht wohlfühlen.
Dabei stammen sehr viele feinsinnige Erfindungen und Werke von introvertierten Menschen: die Relativitätstheorie, Harry Potter und Google sind nur ein paar davon.
Die Ursache einer lauten Welt
In ihrem Buch Still – Die Kraft der Introvertierten erzählt Susan Cain die Geschichte eines unscheinbaren Schülers mit dem Namen Dale. Dale ist der Sohn eines armen Schweinebauers im amerikanischen Missouri.
Dale hat vor vielem Angst: vor Armut, vor Gewitter, vor der Hölle und davor, in entscheidenden Situationen sprachlos zu sein. Der „typische“ Introvertierte“ also.
Als eines Tages ein Redner der Chautauqua-Bewegung (eine Art Volkshochschule) in die Stadt kommt, ist es um Dale geschehen. Dieser junge Mann erzählt seine Geschichte vom Farmjungen zum erfolgreichen Redner, vom Tellerwäscher zum Millionär.
Dale sieht seine Chance und nutzt sie. Er übt und nimmt an vielen Rhetorik-Wettbewerben teil. Oft verliert er, doch er wird immer besser. Er wird so gut, dass er anderen Studierenden am College Rhetorikunterricht gibt.
Währenddessen floriert die amerikanische Wirtschaft, das T-Modell von Ford verkauft sich wie warme Semmeln. Es werden Menschen, in erster Linie Männer, gebraucht, die kontaktfreudig sind und als Vertreter erfolgreich Produkte verkaufen. Mit ihren Kollegen sollen sie gut auskommen, sie sollen aber auch ihre Konkurrenten sein. Nicht unbedingt ein Job für Introvertierte.
Dale wird einer von ihnen und beschließt nach einigen zermürbenden Jahren im Vertrieb, Rhetorikkurse anzubieten. Diese haben buchstäblich über Nacht so viel Erfolg, dass Dale ein Institut gründet und sein erstes Buch schreibt.
1913 erscheint: Besser miteinander reden von Dale Carnegie. Seine weiteren Bücher werden ebenso erfolgreich. Das Buch How to win friends and influence people“ (deutsch: Wie man Freunde gewinnt – Die Kunst, beliebt und einflussreich zu werden), gibt es noch heute in jeder Flughafenbuchhandlung. Auch ich habe das Buch gelesen und den Kernsatz werde ich nie vergessen: „Der Köder muss dem Fisch schmecken, nicht dem Angler.“
Carnegie – die Verwandlung vom zurückhaltenden Jungen zum Starredner
Der Beginn des 20. Jahrhunderts markierte in den USA eine Trendwende. Das Land verwandelte sich von einer „Charakterkultur“ in eine „Persönlichkeitskultur“, wie der Kulturhistoriker Warren Susman es nannte. Susan Cain beschreibt es in ihrem Buch als das Öffnen der „Büchse der Pandora“, mit persönlichen Ängsten, von denen sich die Menschen bis heute nicht erholt haben.
Während der Charakterkultur galt: Ideal ist, wer ernsthaft, diszipliniert und ehrbar ist. Es zählte nicht so sehr der Eindruck, den man in der Öffentlichkeit hinterließ.
Viel mehr zählte, wie man war, wenn niemand zugegen war.
Mit dem Wechsel zur Persönlichkeitskultur fingen die Amerikaner an, darauf zu schauen, wie andere sie wahrnahmen. Es ging um Selbstdarstellung.
Durch die Industrialisierung zogen immer mehr Menschen in die Städte. Dort trafen sie auf Fremde. In ihren Heimatdörfern kannten sich hingegen fast alle persönlich. Man wusste um die familiären und finanziellen Hintergründe.
In der Stadt hieß es nun: Ich muss mir Mühe geben, einen guten Eindruck auf fremde Menschen zu machen. Gesellschaftliche und geschäftliche Beziehungen waren zunehmend anonym, und es galt, diese souverän zu meistern.
Die Menschen reagierten auf den Druck, indem sie sich bemühten, Verkäufer zu werden. Sie vermarkteten die Produkte ihrer Firma und sich selbst! Wieder keine Welt für Introvertierte.
Die Selbsthilfe-Literatur in Amerika boomte zur selben Zeit. Die Bücher handelten davon, wie man am besten eine „Persönlichkeit“ entwickelte. Es ging um Konversation, Ausstrahlung, und – speziell für Frauen – um Faszination.
Die Ratgeber halfen den Menschen nicht wirklich, sie verunsicherten sie zusehends. Und genau das war vermutlich der Grund für ihren Erfolg: Je unsicherer Menschen waren, desto eher waren sie bereit, Geld auszugeben, um diese Unsicherheit zu verlieren.
Besonders deutlich wird ein Vergleich der Inhalte der Ratgeber aus dem 19. und dem 20. Jahrhundert:
Während der „Charakter“-Epoche waren Tugenden wichtig, an denen alle selbst arbeiten konnten, so wie:
- bürgerliches Engagement
- Pflichtbewusstsein
- Fleiß
- Hilfsbereitschaft
- Moral
- Manieren
- Integrität
In der Zeit der „Persönlichkeit“ hingegen, wurden Eigenschaften gepriesen, die sich Menschen nur schwer selbst aneignen konnten:
- unwiderstehlich
- faszinierend
- atemberaubend
- attraktiv
- strahlend
- dominant
- kraftvoll
- energiegeladen
Werbung lügt
Beim Lesen dieser Beschreibungen wird sehr deutlich, warum die Werbebranche schon damals erfolgreich war: Menschen wurde ständig vor Augen gehalten, dass sie unzulänglich seien, wenn sie all diese Eigenschaften nicht mitbringen. Besonders Introvertierte hatten darunter zu leiden.
Weil es meist im Auge der Betrachtenden liegt, ob etwas als faszinierend oder als attraktiv angesehen wird, war es nahezu unmöglich, die „perfekte Persönlichkeit“ zu haben. Doch weil dieses Mantra immer wieder erklang, dachten die Menschen, es läge an ihnen. Also waren sie bereit, „an sich zu arbeiten“ und dafür Geld auszugeben. Selbstoptimierung heißt das.
Allzu viel hat sich daran bis heute nicht geändert.
Die Partnersuche war natürlich ebenfalls auf Persönlichkeit ausgelegt. Galten zurückhaltende Männer und Frauen im vorangegangenen Jahrhundert noch als gut erzogen, war Anfang des 20. Jahrhunderts ein wortreiches Werben wichtig.
Männer sollten Frauen um den Finger wickeln. In Gesellschaft von Frauen allzu wortkarge Männer liefen Gefahr, für homosexuell gehalten zu werden. Zurückhaltende Frauen hingegen wurden schon mal als frigide bezeichnet. Ein Drama, was Introvertierte mitmachen mussten.
Kinder mit fehlangepassten Persönlichkeiten
Auch vor Erziehungsratgebern machte der Trend nicht Halt: Sie handelten davon, Kindern eine gewinnende Persönlichkeit beizubringen. Schüchternheit galt als Ursache für Trunksucht oder gar Selbstmord. Also wurde Kindern die Schüchternheit quasi aberzogen.
Kein Wunder, denn viele amerikanische Universitäten geben bis heute extravertierten Menschen den Vorzug. Das Studium an der Harvard Business School ist auch heute noch auf Extravertiertheit ausgelegt: Wer dort erfolgreich bestehen möchte, sollte immer einen vollen Kalender haben, sich engagieren, auf Partys gehen und dennoch gute Noten schreiben.
Wer also möchte, dass die eigenen Kinder Karriere machen, erzieht sie zu Extravertierten, koste es, was es wolle. Denn auch Harvard ist kein Platz für Introvertierte.
Auch wenn die Methoden der Kindererziehung heute anders sind, basieren sie doch häufig noch auf den Eckpunkten einer erfolgreichen Persönlichkeitsentwicklung.
Warum sind Soziale Netzwerke wohl so erfolgreich?
Weil sie der perfekte Platz sind, um seine „Persönlichkeit“ zu zeigen. Sichtbarkeit, Profiloptimierung, Personal Branding – all das sind die Folgen dessen, was sich Anfang des letzten Jahrhunderts in den USA angebahnt hat.
Und weil wir in Europa nach wie vor gerne das übernehmen, was Amerika vormacht, sind auch wir hier immer noch von Menschen beeindruckt, die faszinierend, dominant oder unwiderstehlich sind. Also tendentiell extrovertiert.
Das erklärt übrigens den Erfolg von Menschen wie Tony Robbins, dem Motivations-Guru, dem Susan Cain in ihrem Buch viele Seiten widmet.
Gute Nachrichten für Introvertierte: Die Trendwende ist eingeläutet
Nicht nur Susan Cain, die mit ihrem TED-Talk das Thema auf die große Bühne brachte, auch andere Amerikaner:innen wie der Psychologe Adam Grant stellen Introvertierte wieder mehr ins Blickfeld. Erfolgreiche Unternehmer:innen, wie Guy Kawasaki, geben öffentlich zu, dass sie „eigentlich“ introvertiert sind und ernten dafür Zuspruch und Dankbarkeit.
Wenn du also schon lange das Gefühl hast, in einer viel zu lauten Welt zu leben, dann wende dich dir selbst zu. Ent-decke deine Grundausstattung. Mache dazu zum Beispiel den Myers-Briggs-Persönlichkeitstest, lies meinen Artikel oder das Buch von Susan Cain.
Doch das Wichtigste ist: Lebe dein wahres Selbst.
Denn du bist genau so, wie du bist, weil du nur so deine ganz persönliche Lebensaufgabe erfüllen kannst. Sei stolz auf das, was du bist. Du bist vollkommen richtig.
Das gilt natürlich auch, wenn du extrovertiert bist.
Introvertierte & Extrovertierte – für euch alle gilt:
In diesen aufwühlenden Zeiten ist es unabkömmlich, dass wir alle das tun, wofür wir gemacht sind. Indem wir so sind, wie wir gedacht sind.
PS: Falls du Kinder hast: In Cains Buch gibt es auch gute Tipps für das Erziehen introvertierter Kinder.
Er-kenne dich selbst
Um zu erkennen, wie du gedacht bist, ist es notwendig, dich mit dir selbst auseinander zu setzen. Selbstreflexion ist dabei die wichtigste Aufgabe. Dafür gibt es die Brücke der Erkenntnis. Diese Brücke ist vermutlich die persönlichste, die du in deinem Leben überquerst. Sie führt in Richtung #Schmetterlingsrequenz.
Wir schwingen auf der #Schmetterlingsfrequenz.
Wer vollkommen bei sich selbst ankommen will, nimmt sich Schmetterlinge als Vorbild: Sie ent-falten sich und zeigen der Welt ihre Farben beim Fliegen.
Auf der Schmetterlingsfrequenz gibt es keinen hinderlichen Ballast mehr. Nichts hält dich davon ab, ein erfülltes Leben zu führen.
Starte zur Schmetterlingsfrequenz
Über Gabriele Feile:
Gabriele ist angekommen auf der #Schmetterlingsfrequenz und erfüllt ihre Lebensaufgabe.
In ihrem Buch „Schmetterlinge fallen nicht vom Himmel“ erzählt sie, wie ihr das gelang.
Sie ist sich sicher: Je mehr Menschen so sind, wie sie gedacht sind und tun, wofür sie gemacht sind, je ausgeglichener und friedlicher ist die Welt.