Warum oder Wofür: Übersetzungsfehler bei Strelecky und Sinek
Es begann mit Simon Sinek. Vor einigen Jahren sah ich seinen TEDx-Talk aus dem Jahr 2009. Dafür, dass er „nur“ bei TEDx PugetSound stattfand (das ist eine Meeresbucht im Staat Washington / USA) und das Mikrofon (damals noch mit Kabel) zwischendrin aufgab und gewechselt werden musste, hat dieser Auftritt für mächtig viel Furore gesorgt. Bis August 2021 wurde er alleine auf der TED-Plattform mehr als 55 Millionen Mal angeschaut.
Der Titel des Talks: How great leaders inspire actions.
Der Inhalt: Start with Why – Beginne mit dem Warum.
Sinek erzählt, wie er entdeckt hat, was erfolgreiche Unternehmen oder Unternehmer:innen anders machen. Er malt dazu den Golden Circle, also den Goldenen Kreis auf, der aus den drei Feldern Warum, Wie, Was besteht. Das Warum steht im Zentrum, denn das ist es, womit erfolgreiche Unternehmen ihre Kommunikation beginnen. Erst dann folgen Wie und Was. Die meisten weniger erfolgreichen Unternehmen machen es andersherum: Sie fangen mit dem Was an.
Am Beispiel von Apple heißt das sinngemäß:
„Wir glauben, dass wir täglich den Status Quo herausfordern sollten. Unsere Produkte sind einfach zu bedienen und wunderschön designt. Wir stellen zufällig Computer her.“
Das Geheimnis: Menschen kaufen nicht das, was du machst, sondern warum du etwas machst. Mit dem Warum können sie sich identifizieren oder nicht. Passt es zu ihnen, haben sie ein gutes Gefühl und vertrauen dir. Auf immer und ewig. Meistens zumindest.
Der Kurs und das Buch
Ich fand sowohl Simon Sinek als auch sein Thema sehr ansprechend und machte sogar seinen Online-Kurs, um mein eigenes Warum zu finden. Als Geschenk bekam ich das gleichnamige Buch „Start with why“, wobei dies meiner Ansicht nach nicht viel mehr aussagt als der TEDx-Talk.
Es klappte tatsächlich: Am Ende des Kurses hatte ich verstanden, wie das Warum zu formulieren ist nach Simons Formel.
Die Formel lautete in etwa:
I …, in order to … Also: Ich …, um
Mit dieser Vorlage sollte es ganz leicht sein, mein eigenes Warum zu formulieren, indem ich einfach die Lücken ausfüllte.
Die Formel erschien mir allerdings nicht stimmig im Vergleich zu dem, was Apple formulierte. Mir gefiel es besser, mein Warum mit „Ich glaube“ anzufangen, weil das wirklich dem entsprach, warum ich Dinge tat. Das haben all die anderen Übungen in dem Kurs bestätigt. Und ich blieb und bleibe bis heute dabei.
Mein Warum
Nach ein paar Wochen hatte ich mein Warum final formuliert:
„Ich glaube, dass alles, was als „normal“ gilt, die Welt kein bisschen besser macht.“
Und hey: es funktionierte. Viele Menschen, die ähnlich tickten, fühlten sich davon angezogen und nahmen Kontakt zu mir auf. Noch viel besser war, dass wir uns automatisch erkannten und uns begegneten. Als ob eine Regisseurin irgendwo die Fäden zog.
Ich passte das Warum sogar auf mein damliges Unternehmen, den Klub der Kommplizen, an und fügte noch das Wie und das Was hinzu. So stand dort irgendwann:
Wir glauben, dass alles, was als „normal“ gilt, die Welt kein bisschen besser macht.
Wir finden, dass sich Arbeiten wie Leben anfühlen sollte.
Deshalb machen wir Unternehmen zu Lieblingsplätzen für ALLE.
Und auch hier: es funktionierte. Simon hatte nicht zu viel versprochen. Das Was war in diesem Fall unsere Mission, sie könnte auch der ZDE gewesen sein, also das, wofür der Klub der Kommplizen damals da war.
ZDE und Big Five For Life
Parallel zu Simon Sinek entdeckte ich John Strelecky. Zuerst las ich The Big Five For Life, etwas später dann Das Café am Rande der Welt.
Auf der Speisekarte im Café am Rande der Welt stehen drei Fragen:
Warum bist du hier?
Hast du Angst vor dem Tod?
Führst du ein erfülltes Leben?
Ich rätselte wieder: Was bedeutet die erste Frage: Warum oder wofür?
Im Buch spricht der Protagonist John mit der Kellnerin Casey darüber und fragt sie:
„Sobald jemand weiß, warum er hier ist, tut er, was immer er möchte und was dem Zweck seines Daseins dient?
Sie reden eine ganze Weile darüber und John findet in dem Gespräch vieles über sich, sein bisheriges Leben und das Leben im Großen heraus.
Das Warum wird in diesem Buch zum Zweck der Existenz (ZDE), im Original: Purpose for Existence (PFO). Hier taucht also ein weiterer populärer Begriff auf: Purpose (zu Deutsch: Zweck). Dieser Begriff macht seit einigen Jahren seine Runde. Menschen suchen Unternehmen mit einem deutlichen Purpose und wollen, dass dieser zu ihrem persönlichen Purpose passt.
Verwirrung hoch drei
Die erste Zeit saugte ich all diese Informationen auf wie ein Schwamm. Alle Konzepte sprachen mich an, schließlich war ich mitten in meiner Selbstfindung und Selbstverwirklichung. Ich war im Kokon, wie ich erst später erkannte.
Ich formulierte meine Big Five For Life und meinen Zweck der Existenz. Beides hat sich zwischenzeitlich mehrfach geändert. Denn je mehr ich mich selbst erkannte, desto klarer wurden mir viele Dinge. Völlig nachvollziehbar, gell?
Was immer gleich blieb, war mein Warum (nach Simon Sinek). Denn dieser Satz ist mein Antrieb, mein Gradmesser, mein Motiv, mein Credo (deshalb beginnt es auch mit: Ich glaube). Alles, was ich tue, entspricht nicht dem, was als „normal“ angesehen wird. Und das ist immer noch für viele andere Menschen der Anlass, mit mir in Kontakt zu kommen.
Vermutlich ist das der Grund, weshalb mich diese ganze Sache nicht losließ.
Ziemlich am Ende meiner Selbstfindungsphase begann ich also, das Thema nochmals genauer anzuschauen – aus sprachlicher Sicht. Die deutsche Sprache ist ja sehr konkret. Alles lässt sich unmissverständlich ausdrücken, zumindest, wenn man Worte achtsam nutzt.
Nehmen wir diese Worte:
Wieso. Weshalb. Warum. Weswegen. Wofür. Wozu.
Die ersten vier Worte in dieser Reihe bedeuten dasselbe: Aus welchem Grund?
Die letzten zwei Worte bedeuten auch dasselbe: Zu welchem Zweck?
Jetzt kam ich der Sache näher: Warum oder Wofür – das sind zwei verschiedene Fragen, die in unterschiedliche Richtungen weisen.
Warum oder wofür?
Fragen wir nach dem Warum, meinen wir den Grund oder die Ursache eines bestimmten Handelns oder eines Status:
Warum bist du zu spät gekommen? Weil ich verschlafen habe.
Warum ist der Boden nass? Weil eine Blumenvase umgefallen ist.
Warum bist du hier? Weil ich mich für das Thema des Vortrages interessiere.
Wir antworten in der Regel mit weil oder da, wenn wir nicht schludern. Und die Antwort geht meistens in die nahe oder ferne Vergangenheit zurück. Dort liegt der Grund.
Fragen wir nach dem Wofür, meinen wir den Zweck oder den Sinn einer Handlung oder einer Situation:
Wofür brauchst du das Geld? Um das Taxi zu bezahlen, mit dem ich gekommen bin.
Wozu steht hier ein Warnschild? Um Menschen auf den nassen Boden hinzuweisen.
Wofür bist du hier? Damit ich neue Menschen kennenlerne.
Wir antworten in der Regel mit um (zumindest ist das die korrekte Form). Oder mit: damit oder dafür. Die Antwort deutet in der Regel auf die nahe oder ferne Zukunft, in der etwas geschehen soll. Es soll einen Zweck erfüllen. (Wir erinnern uns: Zweck heißt auf Englisch: Purpose).
Lost in Translation – Der Übersetzungsfehler
Ich war mittlerweile selbst sehr durcheinander und gleichzeitig sehr klar. Im Deutschen fragen wir Wofür, wenn wir wissen wollen, was der Zweck einer Sache ist. Warum benutzen wir, um den Grund herauszufinden.
Doch wie ist das im Englischen? Ich fragte direkt an der Quelle, nämlich bei Simon Sinek. Ursprünglich wollte ich ihn das live fragen bei seiner Tour, die ihn 2020 (bzw. 2021) nach Amsterdam bringen sollte. Doch aus virusbedingten Gründen fiel diese Veranstaltung aus.
Also fragte ich ihn auf Twitter: Was genau ist mit dem Why gemeint: der Grund oder der Zweck (reason or purpose)?
Simon antwortete zwar nicht selbst, doch jemand aus seiner Fangemeinde, wohl ein Muttersprachler, erklärte mir, dass es im Englischen genau andersherum ist: Why wird meistens benutzt, um nach dem Zweck zu fragen, also nach dem Wofür. Die Alternative wäre For What (oder veraltet: Wherefore).
Soweit ich das einschätzen kann, wird Why auch genutzt, um nach dem Grund für etwas zu fragen. Sehr wahrscheinlich ergibt sich die Bedeutung aus dem Zusammenhang.
Warum oder wofür? Warum und wofür!
Kurzum: Die Übersetzungen sowohl bei Sinek als auch bei Strelecky nehmen die naheliegende Form für why, also warum. Doch im Kontext ergibt nur wofür einen Sinn. Sinek und Strelecky meinen im Prinzip dasselbe mit Why und ZDE, doch im Deutschen (und vielleicht auch in anderen Sprachen), gibt es einen feinen Unterschied.
Denn: Der Grund für etwas ist oft viel klarer als der Zweck. Warum wir etwas tun, entspringt einer akuten Notwendigkeit oder einer Ursprungshandlung. Wofür wir etwas tun, das ist viel weiter interpretierbar und auch sehr individuell.
Auch wenn sich manche ZDEs sehr ähneln (häufig höre ich zum Beispiel: „Mein Zweck der Existenz ist es, andere Menschen zu inspirieren.“), glaube ich, dass in Wirklichkeit jeder ZDE einzigartig ist. Abhängig von dem Gabenpaket und den Talenten, die uns zur Verfügung stehen.
Ansonsten würden wir alle nicht so lange brauchen, um unseren Zweck der Existenz oder Purpose zu erkennen. Ohne das Warum, also den Motor, können wir unser Wofür meist nicht erfüllen. Denn uns fehlt das Motiv, die Motivation, der Antrieb. Und dabei ist das Warum häufig eine Art „Defekt“, also etwas, das ständig an uns nagt, und das uns deshalb anspornt, zu handeln.
Beides zusammen ist also die perfekte Kombination. Das Warum ist attraktiv für Menschen, die ähnlich ticken oder ein ähnliches Warum haben. Das Wofür ist das, was wir für oder mit diesen Menschen gemeinsam tun. Beides ergänzt sich, und durch das stimmige Warum wird unser Wofür, also unser ZDE, zu unserer ganz persönlichen Lebensaufgabe.
Seit 2020 ist mein ZDE so deutlich wie er wohl zu sein hat. Er heißt schlicht und ergreifend:
Brücken bauen.
Denn das habe ich schon immer getan. Dafür bin ich hier. Weil ich Wege finde abseits der ausgetretenen „normalen“ Pfade. Und weil es mir mühelos gelingt, scheinbare Gegensätze zu verbinden. So wie mit diesem Text …
Und du: Wofür bist du hier? Und warum tust du, was du tust?
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Über Gabriele Feile:
Gabriele ist angekommen auf der #Schmetterlingsfrequenz und erfüllt ihre Lebensaufgabe.
In ihrem Buch „Schmetterlinge fallen nicht vom Himmel“ erzählt sie, wie ihr das gelang.
Sie ist sich sicher: Je mehr Menschen so sind, wie sie gedacht sind und tun, wofür sie gemacht sind, je ausgeglichener und friedlicher ist die Welt.