Gastbeitrag von Christa Hamm-Naacke

Ein anderer Blick auf das Sterben

Heinrich Heine hat mit seinem anderen Blick aufs Sterben eine etwas humorvolle Komponente beigesteuert. Der Dichter litt seit jungen Jahren an zahlreichen, sehr einschränkenden Symptomen, die bis heute die Medizin beschäftigen. Im Gedicht Miserere beneidet er DIE SÖHNE DES GLÜCKES nicht, ob ihrem Leben, beneiden will er sie ob ihrem Tod, dem schmerzlos raschen Verscheiden. Er bezeichnet sie als Fortunas Favoriten.

Ja, wer möchte das nicht, schmerzlos und schnell dahinscheiden? Das wäre bequem für alle Beteiligten. Aber das Leben spielt da meist eine andere Tonart. Oft ist Sterben mit jahrelangem Leid und Verfall verbunden.

Heute hat jeder Mensch in Deutschland das Grundrecht (nach Aufhebung des § 217 StGB, Verbot der geschäftsmäßigen Förderung der Selbsttötung, vom 26.02.2020) auf selbstbestimmtes Sterben. Das schließt auch das Recht auf Suizidassistenz (Beihilfe zur Selbsttötung) ein, und zwar unabhängig von der individuellen Lebenssituation.

Wenn das Heinrich Heine gewusst hätte!

 

Was heißt selbstbestimmt Sterben?

 

Auf jeden Fall ist selbstbestimmtes Sterben nicht: Warten, bis Andere für uns entscheiden. Sondern: Festlegen, was mit uns geschieht, wenn wir es selbst nicht mehr können.

Dazu gehört die Frage: „Wie möchte ich sterben?“ Assistierter Suizid in Form verschreibungsfähiger Medikamente und der Zuhilfenahme professioneller Dritter oder Sterbefasten oder doch ausharren, indem ich alle medizinischen Möglichkeiten ausschöpfe – Chemotherapie, OP, Bestrahlung, palliative Begleitung?

Eine weitere Frage wäre: „Wie gehe ich mit dem Gedanken an Suizid um – wissend, dass er oft Leid für alle Beteiligten hinterlässt?“

Unsere Entscheidungen – oder auch das Unterlassen von Entscheidungen – haben immer Konsequenzen. Für uns selbst und auch für unsere Mitmenschen.

 

Wann ist genug genug?

 

Als Kinder sagen uns Erwachsene, wann es „genug“ ist – genug Bonbons, genug Fernsehen, genug Schlaf. Mit der Zeit lernen wir, selbst zu spüren, wann etwas zu viel oder zu wenig ist. Wir gehen nach Hause, wenn die Party vorbei ist, schlafen, wenn wir müde sind, trennen uns, wenn eine Beziehung nicht mehr guttut. Selbstbestimmung ist ein Zeichen von Erwachsensein.

Doch was geschieht, wenn wir diese Selbstbestimmung verlieren – durch Krankheit, Unfall oder Demenz?

Wenn andere für uns entscheiden müssen oder wollen – manchmal aus Fürsorge, manchmal aus Eigennutz oder aus Überforderung?

Dann erleben wir eine Hilflosigkeit, die an unsere Kindheit erinnert. Wir sind ausgeliefert.

 

Vorsorge ist auch Selbstfürsorge!

 

Selbstbestimmtes Sterben ist ein Thema, das oft verdrängt wird, obwohl es uns alle betrifft. Ziel sollte sein, mehr Offenheit zu schaffen – durch Aufklärung, Gespräche und persönliche Auseinandersetzung.

Die Planung des Sterbens gehört in die aktive Lebensphase. Denn der Tod kommt oft ohne Vorwarnung: ein Unfall, ein Herzinfarkt, eine plötzliche Diagnose. Dann stellen sich Fragen, die man besser früher beantwortet hätte als jetzt.

Ein verblühender Rosenstrauß in einer Vase. Selbstbestimmt sterben

Sterbefasten – eine Art des selbstbestimmten Sterbens

 

Meine persönliche Geschichte

Ich habe vor Jahren eine niederschmetternde Diagnose erhalten. Ein Moment, der mein Leben schlagartig veränderte und sofort den Gedanken auslöste:

„Das sitze ich nicht aus.“

 

Viele Jahre war ich ehrenamtlich in der Hospizarbeit tätig und habe in Begleitungen oft erfahren, wie schwer es Menschen fällt, loszulassen. Und wie befreiend dieser Schritt zugleich sein kann. Nach und nach ist in mir die Überzeugung gereift, dass Loslassen-lernen eine wertvolle Übung fürs Leben und Sterben ist.

Ich habe beschlossen, wenn das Leben zur Qual geworden ist, wenn die Hoffnung auf Besserung erloschen ist und die Erfahrung zeigt, dass es immer unerträglicher wird, dann will ich loslassen.

Loslassen von allem, was mir lieb und wert ist – in dem Bewusstsein, dass dann auch das beendet ist, was meine Lebensqualität so drastisch eingeschränkt hat. Und weil ich mich entschlossen habe, meinen Körper an die Organisation Körperwelten zu spenden, sollte dieser auch so unversehrt bleiben, wie es beim Sterbefasten möglich ist.

Beim Sterbefasten hört der Sterbewillige auf, zu essen und zu trinken. Es wird auch als freiwilliger Verzicht auf Nahrung und Flüssigkeit (FVNF) bezeichnet. Alleine ist das nicht möglich. Wir brauchen Hilfe dabei. Und darauf haben wir ein Recht.

Ich habe die Vorbereitungen abgeschlossen. Testament, Vollmachten, Verfügungen – bis hin zur Körperspende – sind dokumentiert. Menschen, die mich auf meinem letzten Weg durch Sterbefasten begleiten werden, stehen bereit. Diese Überlegungen waren immer geprägt von Liebe, Mut und Wahrheit.

 

Der Weg zum selbstbestimmten Sterben

 

Sich mit dem eigenen Tod zu beschäftigen, bedarf Überwindung und auch ein wenig Übung.

Der Beginn von Selbstbestimmung am Lebensende ist eine Einladung, das Leben bewusster zu gestalten – in Würde, Verantwortung und Frieden. Wie bei einem gründlichen Aufräumen: Es schafft Ordnung, inneren Frieden und Raum für das Wesentliche und Neues.

Je früher wir uns mit diesen Fragen befassen, desto freier können wir leben und sterben.

 

Hier sind einige inspirierende Quellen und Impulse für alle, die sich mit dem Thema „selbstbestimmt Sterben“ behutsam auseinandersetzen wollen:

 

Buch: Umgang mit Sterbefasten von Christiane und Hans-Christoph zur Nieden

Ein sehr persönliches Buch, das beschreibt, wie das Ehepaar die Mutter von Christiane zur Nieden im Sterbefasten begleitet hat und weitere 18 Fallbeispiele. Neben pflegerischen Hinweisen behandelt es auch Themen wie:

  1. Begleitung der Begleitenden
  2. Erfahrungen mit häuslicher Sterbebegleitung
  3. Sterbefasten in Heimen und Hospizen
  4. Abgebrochene Prozesse
  5. Sterbefasten bei Demenz
  6. Geplantes Sterbefasten
  7. Begleitung Alleinstehender

Ein Buch, das Mut macht, das Sterben als bewussten, begleiteten Prozess zu verstehen.

Gespräch mit Christiane zur Nieden: Der Weg des Sterbefastens: Bewegendes Interview auf YouTube

Sabine Mehne ist den letzten Weg bereits gegangen und sprach u.a. in der Talkshow Nachtcafé über ihren Weg zum selbstbestimmten Lebensende. Hier gibt es eine ausführliche Doku über „ihren Weg“.

Letzte-Hilfe-Kurse: Bundesweit werden Kurse angeboten, die Wissen und Haltung für die Begleitung Sterbender vermitteln. Termine finden sich in den Tageszeitungen.

Die Deutsche Gesellschaft für Humanes Sterben (DGHS) bietet umfangreiche Informationen, Vordrucke, Pflegetipps und rechtliche Handreichungen für ein selbstbestimmtes Lebensende.

Spezielle Fortbildungen für Ärztinnen und Ärzte bietet z. B. Springer Medizin unter dem Titel „Umgang mit Todeswünschen“ (2 CME-Punkte)

Statistiken zu Sterbewünschen und Motiven wie Multimorbidität oder Lebenssattheit ebenso über Altersverteilung und wie es in anderen Ländern im Vergleich zu Deutschland aussieht, bietet die Forschungsgruppe Weltanschauungen in Deutschland (fowid).

Auch Hospize (ambulant oder stationär) sind wichtige Ansprechpartner, wenn es um Sterbebegleitung und Palliativversorgung geht. Während Palliativmedizin (Spezialisierte ambulante Palliativversorgung oder stationär in Krankenhäusern) sich vor allem medizinisch- therapeutischen Aufgaben widmet, spielen die Hospizdienste eher eine Rolle bei menschlich-seelischen Bedürfnissen. Beide ergänzen sich unter dem Motto:

„Es geht nicht darum, dem Leben mehr Tage zu geben, sondern den Tagen mehr Leben.“

 

Cicely Saunders (1918 – 2005), Begründerin sowohl der modernen Hospizbewegung als auch der Palliative Care. Die Britin gilt als Pionierin der Palliativmedizin.

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