Eine Arbeitskraft ist ersetzlich – ein Mensch nicht!
Im Jahr 2007 übernahm ich einen Job in Dubai – in einem nagelneuen 5-Sterne-Luxus-Hotel der Extraklasse. Das Hotel, so lernte ich in meinem Einführungsseminar, hatte eine großartige Vision (heute weiß ich übrigens, dass das keine Vision war, sondern ein Ziel. Visionen sind nämlich für andere relevant, Ziele für einen selbst).
„We aspire to be the most distinguished luxury hotel in Dubai.“
„Wir wollen das außergewöhnlichste Luxus-Hotel in Dubai sein.“ – würde man auf Deutsch sagen.
In einer Stadt, in der es damals nur Luxushotels der Spitzenklasse gab, wollte das schon was heißen. Einer der Werte, die wir damals hatten, hieß mysterious – geheimnisvoll. Es ging dabei darum, die Gäste immer wieder zu überraschen, und zwar so, dass sie sich wunderten, woher wir wussten, dass sie genau so etwas wollten.
Was für Menschen arbeiten in so einem Hotel?
Als ich ankam, gab es schon fast zwei Jahre lang ein so genanntes Pre-Opening-Team.
Weil der Bau des Hotels so lange dauerte und die Eröffnung ständig verschoben wurde, waren manche der Positionen schon zum zweiten oder dritten Mal besetzt. Denn: durch die vielen neuen Hotels, die laufend aufmachten, gab es unglaublich viele Jobs in der Stadt. Ich habe Personen kennen gelernt, die 10 Jahre lang nur Hotels eröffnet haben. Die Namen der Hotels ließen sie bei jeder Gelegenheit ins Gespräch einfließen, gerne erwähnt wurde das berühmte Burj Al Arab (Eingeweihte sagten immer nur The Burj).
Viele von ihnen hatten keinen einzigen Tag operativ in den Hotels gearbeitet, aber das war egal. Sie verdienten mächtig viel Geld und mit jedem Wechsel wurde es mehr, denn jede Eröffnung im Lebenslauf zählte als wichtige Erfahrung.
Und wie arbeiteten diese?
Nach ein paar Wochen hatte ich herausgefunden, was diese KollegInnen dazu qualifizierte, ein Hotel nach dem anderen mit zu eröffnen. Sie beherrschten „Kopieren & Einfügen“ (copy & paste) aus dem EffEff! Immer wenn es darum ging, einen Ablauf festzulegen, holten sie von ihrem USB-Stick ein Dokument, tauschten das Logo aus und präsentierten den neuen Prozess!
Die Folge war, dass die Prozesse und die Formulare in den ganzen 5-Sterne-Hotels ziemlich deckungsgleich waren, zumindest auf dem Papier! Selber denken und selber etwas Neues machen war gar nicht nötig. Und wenn das nicht mehr reichte, dann zog man halt weiter ins nächste neue Hotel…
Mir war schleierhaft, wie man so das außergewöhnlichste Luxus-Hotel in Dubai werden wollte.
Arbeitskräfte sind ersetzlich…
Diese Episode meines Lebens hat mir beigebracht, dass man Arbeitskräfte sehr schnell ersetzen kann. Denn eine Arbeitskraft ist wie die andere: sie macht den Job, den man ihr gibt. Nicht mehr und nicht weniger. Genauso wie ein Staubsauger oder eine Mikrowelle.
…Menschen nicht
Menschlich hingegen ist niemand ersetzbar. Wir sind alle Originale, die ihre ganz eigene Mischung aus Können, Wissen, Tun und Sein haben. Unsere Gaben und Talente und die Erfahrungen, die jeder von uns macht, sind im Mix so individuell wie unser Fingerabdruck. Und wenn man uns ersetzen will, findet man niemanden, der/die uns zu 100 % ähnelt.
Und wer ist denn nun unersetzlich?
Je ungewöhnlicher diese Mischung ist, desto schwieriger wird es, einen adäquaten Ersatz zu finden, wenn jemand kündigt. Dann wird plötzlich der Job einer Person an 4-5 andere verteilt, die jeweils einen Teilbereich übernehmen. Andere Aufgaben oder Projekte werden gestoppt, weil es niemanden gibt, der das nahtlos übernehmen kann. Aus Teilzeitstellen werden Vollzeitstellen, weil man feststellt, dass man für diese umfangreichen Aufgaben mehr Zeit braucht. Oder es wird externe Untersützung geholt, sodass plötzlich ganze Projektteams an den Themen arbeiten, die vorher eine Person gewuppt hat.
Das ist der Moment, in dem du vielleicht sagst: „Mein letzter Arbeitgeber wusste erst, was er an mir hatte, als ich weg war!“
Wie war das bei Apple?
Wie schwierig es tatsächlich ist, Menschen zu ersetzen, sieht man an berühmten Beispielen. Als Steve Jobs 2011 starb, übernahm Tim Cook die Leitung von Apple. Einer Legende zu folgen ist äußerst schwierig, das musste Cook feststellen. Er galt zwar als sehr fähiger Manager aber nicht als Visionär, der neue Produkte entwickeln konnte. Deshalb stellten sich viele die Frage, ob Apple weiterhin so innovativ und erfolgreich bleiben würde. Apple geht es nach wie vor gut, aber ein Wow-Effekt durch neue Produkte blieb bisher aus.
Und bei Live Your Legend?
Eine ähnliche Geschichte ist die von Scott Dinsmore, der mit seinem frühen Tod bei mir persönlich eine 180-Grad-Wende in meinem Leben ausgelöst hat. Er hatte einige Jahre zuvor die Plattform „Live Your Legend“ gegründet, die sich nach und nach über alle Kontinente ausbreitete. In vielen Städten trafen sich Menschen, die glaubten, dass die Welt ein besserer Ort wäre, wenn wir alle die Arbeit täten, die uns wirklich etwas bedeutet. Auch ich ging eine Zeitlang zu den Treffen in München.
Scott starb bei einem Unfall auf dem Kilimandscharo als er 32 Jahre alt war. Seine damalige Frau Chelsea, die den Unfall mit ansehen musste, war sehr stark und übernahm die Rolle ihres Mannes als Aushängeschild für das Unternehmen. Das klappte eine Weile ganz gut, wohl auch, weil viele miterleben wollten, wie diese junge Frau mit ihrem Schicksal umging. Nach und nach kamen jedoch die einst motivierenden E-Mails seltener und auch inhaltlich war nichts Neues dabei. Nach einiger Zeit gab Chelsea Dinsmore dann bekannt, dass sie beschlossen hat, Profis die Führung des Unternehmens zu überlassen.
Und du? Willst du gerne unersetzlich sein?
In der heutigen Zeit ist die Angst von vielen die, dass ihr Job wegfällt, weil er digitalisiert wird. Mit der Situation rund um Corona wird das sogar eher wahrscheinlich, weil wir gelernt haben, dass sich vieles digital gut lösen lässt. Und ganz ehrlich: die Angst ist nicht unbegründet. Wer Aufgaben erfüllt, die ein Computer besser und schneller kann, muss tatsächlich um seinen/ihren Job bangen. Und dabei geht es nicht nur um die Kassierer im Supermarkt, nein auch Anwältinnen, Programmierer oder Busfahrerinnen können von künstlichen Intelligenzen ersetzt werden.
Gut, dass es eine Lösung gibt: Anstatt zu warten, bis irgendjemand dir sagt, dass man dich nicht mehr braucht, finde selbst heraus, welche deiner Aufgaben du digitalisieren oder auslagern kannst.
Und dann: tu stattdessen Dinge, die ein Algorithmus lange nicht so gut kann, wie du. Das sind all die Dinge, die mit direkter menschlicher Kommunikation zu tun haben. Nimm dir Zeit, um zum Beispiel Kunden, Lieferanten oder Geschäftspartner anzurufen oder sie zu treffen (zur Not digital). Plaudere mit ihnen und finde heraus, was sie wirklich brauchen und wollen. Und dann liefere ihnen das oder starte ein gemeinsames Projekt.
Dasselbe kannst du mit deinen Mitarbeiter:innen und Kolleg:innen machen. Nimm dir mehr Zeit, sie besser kennen zu lernen und hilf ihnen, dich kennen zu lernen. Plötzlich werdet ihr Ideen haben, die ihr gemeinsam umsetzen könnt.
Echte kreative und konzeptionelle Arbeit kann ein Computer auch nicht leisten. Finde also selbst kreative Lösungen für immer wiederkehrende Probleme, schreibe Artikel für den Unternehmensblog oder das Intranet, lass dir von Spezialisten erklären, wie man sie veröffentlicht und verbreitet. Erstelle auf canva.com eine Grafik dazu. Lass sie über moo.com drucken. Nimm Videos auf und zeige sie auf YouTube, Instagram oder TikTok. Lies Artikel und Bücher zu Themen, die außerhalb deiner Kerntätigkeit liegen, geh zu außergewöhnlichen Veranstaltungen – auch online, nimm an fachfremden Trainings teil und transferiere das Gelernte in deinen Job. Und hey: wenn das alles Sachen sind, die „eigentlich“ nicht deine Aufgabe sind, bist du auf dem richtigen Weg!
Sei ein Linchpin, wie Seth Godin in seinem gleichnamigen Buch fordert. Und du wirst sehen, du wirst immer interessanter für andere – als Mensch, nicht als Arbeitskraft. Weil du außergewöhnlich bist – und vielleicht ein bisschen mysteriös!
Viel Glück!
Deine Gabriele Feile
Über den Klub der Kommplizen:
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