Wie sich Glück und Zufriedenheit nicht nur unterscheiden, sondern ergänzen
Seine Lehrerin erwiderte: „Du hast die Frage nicht verstanden.“ Der kleine John antwortete schlagfertig: „Sie haben das Leben nicht verstanden.“
Ob diese Legende wahr ist, kann ich nicht beweisen. Doch sie ist mir in Erinnerung geblieben. Glücklich, oder wie es im Englischen heißt: happy, das wollen wir doch alle sein, nicht wahr?
Doch, was bedeutet es wirklich, glücklich zu sein? Ist es ein Wunsch, ein Zustand, ein Ziel? Wann und wie erkennen wir Glück? Ist Zufriedenheit Glück zweiter Klasse? Oder ist sie die Essenz von Glück?
All diesen Fragen und ein paar mehr gehe ich in diesem Artikel nach.
Hectors Reise oder die Suche nach dem Glück
Im Jahr 2002 veröffentlichte der französische Autor und Psychiater François Lelord das erste Buch rund um den jungen Psychiater Hector. Dieser macht sich darin auf die Suche nach dem Glück, weil er andere Menschen (auch seine Patientinnen und Patienten) glücklich machen will.
Er reist um den Globus und trifft so unterschiedliche Menschen wie einen Mönch, eine Prostituierte, einen homosexuellen Arzt, einen Top-Kriminellen, eine afghanische Frau mit Hirntumor, einen Professor und einige mehr.
Nach all seinen Begegnungen notiert er sich eine Lektion zum Thema „Glück“, die er dabei erfährt. Es kommen mehr als 20 zusammen.
Wollte ich das Buch zusammenfassen, würde ich sagen: Glück liegt im Auge derer, die es betrachten – und die Lebensumstände (gut wie schlecht) tragen dazu bei.
Es ist ein Irrtum zu glauben, Glück wäre das Ziel
Diese, die siebte Lektion von Hector erscheint mir im Nachhinein als die relevanteste. Und obwohl das Buch ein Bestseller war, scheint sich diese Aussage nach wie vor nicht herumgesprochen zu haben.
Im Gegenteil: In den letzten rund 25 Jahren wurde uns weiterhin an allen Ecken und Enden das permanente Glück versprochen – einen erheblichen Anteil daran hat die Werbung.
Dass die Definition von „Glück“ nicht ganz so klar ist, macht es uns schwer, den Verführungen zu widerstehen.
Als Glück wird alles „verkauft“, was gute Gefühle produziert. Das kann auch ein SUV sein oder eine Hautcreme. Und wie das Auto und die Creme kann Glück oberflächlich sein.
Hinzu kommt: Die Sprache schlägt uns bei Glück ein Schnippchen
Im Deutschen kann man Glück haben – und zwar passiv, wie etwa: Glück in der Liebe oder im Spiel. Es ist eher ein Zufallsprodukt und kann nicht erzwungen werden.
Glücklich sein, hingegen, ist ein Zustand, der davon abhängt, wie wir Situationen bewerten.
Zufriedenheit gilt, gerade im deutschen Sprachraum, als nicht unbedingt erstrebenswert. Es reicht scheinbar nicht für ein gutes Leben, wenn man zufrieden ist.
Denn das hieße ja: Alles ist gut, so wie es ist. Es fehlt nichts zum Glück. Das passt dem Kapitalismus und allen, die davon profitieren, ganz und gar nicht in den Kram.
Dabei ist Zufriedenheit viel weitgehender als flüchtiges Glück.
Zufriedenheit führt zu Seelenfrieden
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Die Bedeutung des Adjektivs „zufrieden“ heißt: mit sich und der Welt in Einklang zu sein.
Es entstand im Deutschen einst aus der Fügung „zu Frieden“. Diese Wortkombination wurde zunächst in Verbindung mit Richtungs-Verben wie z. B. setzen, stellen, kommen genutzt. Es ging also darum, Frieden zu erreichen.
Im 16. Jahrhundert entstanden die Adverbien zufriedengeben und zufriedenlassen. Und seit dem 17. Jahrhundert wird es auch als Adjektiv gebraucht: zufrieden. Auch das Gegenteil gibt es seither: unzufrieden.
Das bestätigt, was ich seit langer Zeit in mir spüre:
Zufrieden zu sein heißt: im Frieden zu sein mit dem, was ist.
Es bedeutet nicht, dass wir alles hinnehmen müssen, was geschieht, sondern es heißt: Wir nehmen jede Situation an und entscheiden, ob und was wir tun können, wollen oder gar müssen – oder auch nicht.
Der Clou: Es kann uns ein Glücksgefühl vermitteln, etwas nicht zu tun, nichts zu kaufen, nichts zu kommentieren.
Glück ist ein Geschäft
In den letzten Jahren sind mir viele Menschen begegnet, die sich, wie Hector im oben genannten Buch, dem Glück widmen:
- Der Chief Happiness Officer aus Kopenhagen, der dafür plädiert, dass „Happy Hour von 9 bis 5 ist“ – also bei der Arbeit stattfindet.
- Die Glücksforscherin, die nach Schweden zog und mit „8 Stunden mehr Glück“ den Deutschen mehr skandinavische Lebensfreude näherbringen will.
- Die Gründerin des „Ministeriums für Glück“, mit einem täuschend echt aussehenden Deutschland-Logo und der Vision: Glück für alle!
- Der ehemalige Arzt, der schon vor Jahren wusste: „Glück kommt selten allein“.
- Und viele Menschen, die sich selbständig gemacht haben, um andere irgendwie glücklich zu machen.
Die Glücksforscherin aus Stockholm verkündete vor kurzem:
„Bitte, nicht nach Zufriedenheit streben. Denn die Grenze zu ‚sich mit etwas abfinden‘ wäre schmal. Zudem enthält Zufriedenheit ein ‚Es ist gut so, wie es ist‘.“
Sie hat recht:
Unzufriedenheit führt unter Umständen zu mehr Anstrengung und zu Verbesserungen. Gleichzeitig gibt es chronisch unzufriedene Menschen, die lieber jammern, als selbst etwas zu ändern. Sie haben die Unzufriedenheit für sich gewählt.
Zufriedenheit führt vielleicht zu Faulheit und Müßiggang, weil es keinen Grund gibt, etwas zu verändern. Doch Leistung und Glück gehören „zum Glück“ nicht zusammen.
Daraus folgt: Beides kann uns glücklich machen: das Aktivsein oder das Faulsein.
Wo leben die glücklichsten Menschen – fragt der World Happiness Report
International heißt das viel gepriesene Glücksgefühl „Happiness“. Es geht um Happiness im Leben, bei der Arbeit, in der Familie und so weiter. Der sogenannte World Happiness Report will alljährlich nachweisen, wo die glücklichsten Menschen leben.
In der Regel liegen die skandinavischen Länder auf den vordersten Plätzen. Aktuell führt Finnland die Liste an, gefolgt von Dänemark, Island und Schweden. Deutschland liegt im Report von 2024 auf Platz 22 (von 147), hinter Österreich und der Schweiz und vor Großbritannien und den USA.
Um herauszufinden, wo die glücklichsten Menschen leben, werden diese nicht etwa umfassend befragt. Sie beantworten alljährlich nur eine einzige Frage (die sogenannte Cantril-Leiter).
Die Frage lautet:
Bewerten Sie Ihr Leben auf einer Skala von 0 bis 10 von dem schlimmstmöglichen (0) bis zum bestmöglichen (10).
Der Hintergrund: Unabhängig von Kultur und Herkunft können die Menschen entscheiden, was ihnen am wichtigsten ist. Konzepte wie Glück, Wohlbefinden oder Zufriedenheit werden bewusst nicht erwähnt.
Trotz oder wegen der Einfachheit dieser Frage, lässt sich zwar ein Ranking erstellen. Doch auf welcher Basis die Menschen ihr Leben bewerten, lässt sich nicht herausfinden.
Also wird geforscht, woran es liegen könnte: Schulsystem, Sozialsystem, politisches System, BIP etc.
Der Soziologe Sebastian Sattler von der Uni Bielefeld kennt sich aus mit solchen Umfragen und sagt:
„Man kann von einer einzigen Frage nicht zu viel erwarten, denn die Zufriedenheit ist ein komplexes Konstrukt. Für Menschen sind unterschiedliche Dinge wichtig: Manchen ist der Wohlstand das wichtigste, anderen die Gesundheit oder der soziale Zusammenhalt.“
Ein anderer Ansatz: Die Global-Flourishing-Studie
Die jüngst erschienene „Global Flourishing Study“ misst mehrere Dimensionen von Wohlbefinden und Glück.
„Flourishing“ wird von den Forschenden als übergreifendes Konzept beschrieben.
Es erfasst die Qualität aller Lebensbereiche einer Person: Gesundheit, Wohlbefinden, Lebenssinn, Charakter, soziale Beziehungen und finanzielle Sicherheit.
Das vielleicht überraschende Ergebnis der neuen Studie: Indonesien liegt ganz vorne. Skandinavische Länder tauchen bei dieser Analyse eher im unteren Mittelfeld auf.
Umfassend kommt die Studie zum Ergebnis: „Glück“, „Wohlbefinden“ und „Zufriedenheit“ universell zu messen, ist schwerer, als es aussieht – und trotzdem wichtig.

Likes machen nicht glücklich – zumindest nicht auf Dauer
Immerhin sind sich viele Glücksbeauftragte einig: Glück ist kein Dauerzustand. Es kommt in kleinen, oft intensiven Dosen und fühlt sich einfach großartig an.
Es ist wie das Verliebtsein oder ein Orgasmus. Beides überschüttet uns mit Glückshormonen. Beides kommt und geht. Und wenn beides gerade nicht da ist, heißt es nicht, dass wir unglücklich sind.
Apps und Social Media nutzen das menschliche Bedürfnis nach Glückshormonen ganz bewusst aus. Das aktive Nutzen von Online-Tools setzt im Gehirn Dopamin frei, einen Neurotransmitter, der für Motivation und Glücksgefühle sorgt – immer wieder. Das ist wie ein Wirbelsturm im Gehirn.
Deshalb sind so viele Menschen abhängig von Likes, Kommentaren und Reaktionen. Sie fühlen sich kurzfristig wunderbar an, so wie der Genuss anderer „Drogen“ auch.
Mit echtem Glück hat das Scrollen und Posten allerdings nichts zu tun. Und dennoch fällt es uns schwer, es sein zu lassen. Die mächtigen Tech-Konzerne haben uns an der Angel.
Eine Studie der University of Alberta (Kanada) hat herausgefunden, dass Digital Detox, also das bewusste, längere Verzichten auf Online-Tools und soziale Medien zu einer höheren Lebenszufriedenheit führt. Plus: Menschen zeigen weniger Symptome für psychische Krankheiten und erleben positive Emotionen intensiver.
Wer also nach oder während einer Phase des Digital Detox an einer Umfrage zum eigenen Wohlbefinden teilnimmt, wird sehr wahrscheinlich zufriedener antworten. Auch, weil er/sie sich nicht so vielen Vergleichen ausgesetzt fühlt.

Was ist denn nun besser: Glück oder Zufriedenheit?
Die Sache ist wirklich komplex und lässt sich nicht haarscharf trennen, finde ich. Stattdessen gehören Glück und Zufriedenheit für mich zusammen: Zufriedenheit ist das Grundrauschen, das, was mich in Frieden bringt mit der aktuellen Situation – ja, auch mit einer schlechten.
Meine Zufriedenheit hilft mir, Unsicherheiten auszuhalten, mich keinen unnötigen Kämpfen hinzugeben (wie ich sie in jungen Jahren oft ausgefochten habe) und dem Lauf des Lebens zu vertrauen.
Glück ist der kurze Augenblick, wenn mein Herz vor Freude hüpft und ich die Welt umarmen könnte. Wenn mich aus heiterem Himmel ein Gefühl durchströmt, das mich singen und tanzen lässt – wodurch ich mich noch glücklicher fühle.
Das Wissen, dass solche Momente immer wieder kommen, macht mich noch zufriedener. Es gibt mir Zuversicht.
Bildlich gesagt: Zufriedenheit sind die süßen, roten Erdbeeren aus dem Garten, die ich selbst gepflückt habe. Und Glück ist die Schlagsahne darauf. (Schmecken tun die Erdbeeren auch ohne Sahne, wenn es gerade keine gibt.)
Beide zusammen, Glück und Zufriedenheit, erschaffen Wohlbefinden – oder gar Glückseligkeit.
Genau das ist es, was in Japan (und anderen fernöstlichen Kulturen) schon seit Jahrhunderten als erstrebenswerter Zustand gilt: Das Glück im Alltäglichen erkennen, in dem, was ist. Ikigai, die japanische Lebenskunst, weiß etwa: Es gibt viele Dinge, für die es sich zu leben lohnt.
„Das Vergleichen ist das Ende des Glücks und der Anfang der Unzufriedenheit.“
Was der dänische Philosoph Søren Kierkegaard so treffend ausdrückte, trifft in der Tat zu: Vergleiche mit anderen Menschen führen oft zu Selbstzweifeln und vermitteln uns ein Gefühl der Unzulänglichkeit. Wir fühlen uns nicht (gut) genug, kritisieren uns unerbittlich selbst und unser Selbstwertgefühl liegt am Boden.
Sich nicht mit anderen zu vergleichen, kann eine Herausforderung sein. Das fällt leichter, je besser du mit dir selbst im Reinen und im Frieden bist – je zufriedener du also bist.
Wenn du zufrieden bist, suchst du nicht ständig nach Bestätigung von außen.
Du hast nicht das Bedürfnis, mit anderen Menschen zu konkurrieren oder sie gar schlecht zu machen, um dich besser zu fühlen.
Du hast erkannt, wofür du da bist und was deine Lebensaufgabe ist. Dein Leben ist in Balance.
Kurzum: Du bist auf der Schmetterlingsfrequenz angekommen.
Fazit: Glück und Zufriedenheit sind kein Gegensatz
Je zufriedener wir sind, desto leichter fällt es uns, das kleine Glück zu erkennen und auszukosten.
Statt für das Glück zu kämpfen, uns von Online-Konzernen verführen zu lassen oder uns im Vergleich mit anderen selbst zu verlieren, lass uns lieber glücklich und zufrieden leben bis an unser Lebensende!
Deine Gabriele
PS: Wann und wie erlebst du Glück und Zufriedenheit? Schreib es in die Kommentare. Danke schön.