Führen und führen lassen

Warum das nicht ohne die richtigen Fragen geht

 

Auf die Frage: Wo habt ihr euch kennen gelernt, hört man ja ganz oft: im Internet. Svenja Floberg Thiel und ich kennen uns auch von dort. Zum Glück treffen wir uns immer öfters persönlich. Es lohnt sich jedes Mal, Svenja zu treffen, denn es kommt immer was raus. Genau das passierte bei unserem letzten Gespräch. Wir haben uns übers Führen unterhalten und was die Voraussetzungen dafür sind. Am Ende stellten wir uns ziemlich mächtige Fragen. Vielleicht hast du eine Antwort darauf.

 

Es war im Jahr 2011 als Svenja beschloss, statt Pferde Menschen zu führen. Von der Reitlehrerin in Norddeutschland wurde sie zur Teamleiterin in München – in der Versicherungsbranche. Obwohl sie vorher noch nicht offiziell und „richtig“ geführt hatte, traute man Svenja diese Aufgabe zu. Versicherungswissen hatte sie zu Hauf. Sie entschied sich bewusst gegen zwei andere Angebote und machte sich guten Mutes ans Werk: den Aufbau einer Abteilung für vermögende Privatkunden, Kunst, Denkmäler und gewerbliche Flotten (Kraftfahrzeuge).

 

Die grüne Wiese hegen

 

Außer Bergen von Rücklagen, die Svenja erst mal abarbeitete, gab es in der neu gegründeten Abteilung nichts. Auch keine Mitarbeiter, die dabei mitwirkten, das Geschäftsfeld zu formen und die Wiese zum Blühen zu bringen.

 

Halbherzig ging Svenja auf die Suche nach geeigneten Spezialisten. Erst als ihre eigene Probezeit vorbei war, wurde es ernst und man erhöhte das Tempo, weil klar war: sie bleibt. Zur gleichen Zeit fing ein neuer Personalleiter im Unternehmen an, der Svenja dabei unterstützte, in einem „leeren Markt“ die passenden Menschen zu finden. „Das war ein Glücksfall für mich, denn von ihm lernte ich, was Führen wirklich heißt. Man muss nämlich Menschen mögen, wenn man sie führen will“, sagt Svenja, „und bei ihm merkte man, dass er das tat. Ich ließ mich sehr gerne von ihm führen.“

 

Dass sie, trotz dieser positiven Einstellung, an ihre Grenzen kam, daran erinnert sich Svenja heute noch gut. Die erste Mitarbeiterin wurde „zwangsweise“ nach Rückkehr aus der Elternzeit in ihrem Team untergebracht. Von Anfang an war klar, dass dies eine falsche Entscheidung war, die jemand anders getroffen hatte, ohne die Beteiligten gut genug zu kennen. Es kam, wie es kommen musste: die Probleme häuften sich und die Diskussionen waren intensiv und anstrengend. „Ich wurde auf der gesamten Breite mit Herausforderungen konfrontiert“, erinnert sich Svenja schaudernd. „Bis hin zu disziplinarischen Maßnahmen und extremer Unruhe im Team war alles dabei.“

 

„Great leaders don’t create more followers. They create more leaders.“(Simon Sinek)

 

Zum Glück lernte Svenja auch die andere Seite des Führens kennen. Eine junge Mitarbeitern überzeugte im Bewerbungsprozess. Sie fand sogar eine passable Antwort auf die in Versicherungskreisen beliebte Frage, was passiert, wenn eine Sektflasche auf dem Beifahrersitz explodiert und es dadurch zu einem Unfall mit Sachschaden kommt.

 

„Diese junge Frau wusste genau, was sie wollte“, erinnert sich Svenja. „Ich wollte sie gerne im Team haben und stellte sie ein.“ Bald bestätigte sich das positive Bild: die neue Mitarbeiterin wuchs über sich hinaus und legte die Rolle der „kleinen Sachbearbeiterin“ langsam aber sicher ab. Auch weil Svenja das förderte. „Wir unterhielten uns regelmäßig darüber, wie wir uns unsere Zukunft vorstellten und wir profitierten beide von den Gesprächen. Die Mitarbeiterin gewann Selbstvertrauen und ich lernte sie besser kennen und konnte sie noch besser unterstützen.“

 

Die Kollegin lernte russisch, weil sie es liebte, persönlich zu wachsen. Und irgendwann schrieb sie sich für das nebenberufliche Studium als Versicherungsfachwirtin ein und schloss es auch erfolgreich ab. Svenja sagt heute: „Mir war von Anfang an klar, dass in ihr mehr steckte, als sie selbst dachte. Und es ist heute noch schön zu sehen, wie sie sich immer weiter entwickelt.“

 

Den Affen loswerden

 

Svenja erfuhr in ihrer Rolle als Teamleiterin sehr schnell, dass es nicht zielführend ist, die Probleme der Mitarbeiter zu lösen. Sie kamen anfangs zu ihr und übergaben ihren Affen (also ihr Problem) an Svenja. Für die Mitarbeiter war das natürlich sehr bequem, wenn Svenja alle Fragen beantwortete und ihnen sagte, was zu tun war. Irgendwann dämmerte es Svenja: „Die Menschen lernen nichts dabei.“ Sie selbst lernte dadurch, statt Antworten zu geben, die richtigen Fragen zu stellen. Ein Beispiel: „Wenn du Kunde wärst, was wäre für dich die beste Lösung?“

 

„Führen hat sehr viel mit mir selbst zu tun. “ Svenja Floberg Thiel

 

Anfangs waren die Reaktionen der Mitarbeiter „unleidig“, und für Svenja war es sehr schwierig, nicht in die alte Rolle zu rutschen. Sie fing an, zu begründen, warum sie „Nein“ sagte und arbeitete sehr intensiv an sich selbst. „Führen hat sehr viel mit mir selbst zu tun“, sagt sie heute ganz klar. „Wer andere Menschen führen will, muss sich selbst kennen und sich selbst führen. Nur so wird man ein Vorbild, an dem sich andere orientieren können.“

 

Die messbaren Erfolge blieben nicht aus: Jedes Jahr machte Svenjas Team 30 % mehr Umsatz als im Vorjahr – und zwar freiwillig. Die selbst gesetzten Ziele wurden regelmäßig übertroffen, und das heißt etwas, im wettbewerbsintensiven Versicherungsmarkt. Dabei ging es übrigens nie um „schnelle Deals“, sondern um persönliche Beziehungen zu den Kunden. Denn auch hier gilt: Man muss Menschen mögen.

 

fuehren und fuehren lassen _ Fragen

 

Die richtigen Fragen stellen

 

Gespräche mit Svenja sind immer sehr intensiv und von hohem Tempo. Sie spricht Dinge klar an und stellt unbequeme Fragen, auch an sich selbst. „Was will ich wirklich, wirklich ist eine Frage, die man sich regelmäßig stellen sollte“, findet Svenja. „Das kann weh tun, aber nur aus dem Schmerz heraus ändert sich etwas. Wir wachsen.“

 

Und weil Svenja und ich gerne weiter wachsen wollen, haben wir uns am Ende unseres Treffens ein paar Fragen gestellt, deren ehrliche Beantwortung ziemlich schmerzhaft sein kann:

Warum sind Unternehmen hierarchisch organisiert?
Warum sind so viele Menschen in Führungspositionen, die nicht führen?
Wann ist der Zeitpunkt gekommen, um ein neues System auszuprobieren?
Wie viel Schmerz müssen wir noch ertragen, bis es so weit ist?
Wann haben wir aufgehört, MitarbeiterInnen zu vertrauen?
Warum glauben wir, Menschen kontrollieren zu müssen?
Warum stellen wir Führungsrollen so selten in Frage?
Mögen wir überhaupt Menschen?
Was muss man eigentlich studieren, um Menschen führen zu können?
Wie führt eine künstliche Intelligenz?
Was kann man digitalisieren, wenn es ums Führen geht?
Wie viele Frauen braucht es, um die Situation wirklich zu ändern? 

 

Was sind deine persönlichen Antworten auf diese Fragen und wie sehr schmerzen diese?

– fragt deine Kommplizin Gaby Feile

Titelfoto: Gaby Feile

Anderes Foto: unsplash.com

 

Über Svenja Floberg Thiel:

Klare Haltung und Köpfchen, damit schafft Svenja für jedes Problem mehr als eine Lösung. Sie ist fasziniert davon, wie Werte Menschen (und Unternehmen) prägen und mag Menschen wirklich. Außerdem traut sie sich, Dinge anzusprechen und zu tun, die weh tun. 

Svenja auf LinkedIn

 

Über den Klub der Kommplizen:

So wie in der Nationalmannschaft, kommen im Klub der Kommplizen begabte Macherinnen & Macher aus verschiedenen Unternehmen zusammen. Ihre Mission: Unternehmen zu Lieblingsplätzen für alle zu machen.

Alles zum Klub der Kommplizen

 

 

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